Vergänglichkeit im Nebel blätternder Mauern
Egbert von der Mehr stellt in Stan's Galerie aus

Kölner Stadt-Anzeiger 1.9.1981 / Lucy Dumoulin

„Enzyklopädien meiner Bilderwelt“ hat Egbert von der Mehr seine Federzeichnungen genannt. Sie bestehen aus einer Unzahl von Details menschlicher Figuren, zerfallender Technik, bröckelnden Gebäuden – neben-, über- und untereinander gezeichnet. […]
Die Fülle der Leiber und ihre Verschlingungen erinnern an mittelalterliche Altartafeln. Sonst gehören die Gestalten doch ganz unserer Zeit an; sie sind ineinander oder in Autos, Flugzeuge, allerlei Gerätschaften unentwirrbar verstrickt – eine scheinbar endlose Reihung kleinster Einzelheiten.
Egbert von der Mehr zeichnet langsam. Die Bilder entwickeln sich wie unter Zwang, ohne Anfang, ohne Ende. Es sind Inspirationen des Moments, die über Monate hinweg aneinander gereiht werden.
Ganz anders dagegen wirken von der Mehrs Farbstiftzeichnungen in meist erdigen Tönen. Man glaubt, blätternde Mauern zu erkennen, Erdverfärbungen, Spuren von Tonscherben – alles gesehen wie durch einen Nebel des Ungewissen. Bei näherer Betrachtung zeichnet sich jedoch wieder die menschliche Vergänglichkeit ab, die auch das Thema der „Enzyklopädien“ ist. Nur ist sie nicht in der Gegenwart angesiedelt, sondern scheint ferner Vergangenheit entnommen zu sein. Wie von Sand überweht erlaubt sie dem Betrachter selbst, die schattenhaften Formen als Ruinen oder Gerippe zu interpretieren.
Seine archäologischen Inspirationen kommen nicht von ungefähr – Egbert von der Mehr arbeitet im Landesmuseum für Archäologie in Münster, um sich sein tägliches Brot zu verdienen. […] Die weichen, verhaltenen Farbstiftblätter und die mit spitzer, aggressiver Feder gezeichneten Enzyklopädien sind nicht nacheinander, sondern zum Teil nebeneinander entstanden. Ein Bild ist für Egbert von der Mehr niemals fertig: „Manchmal habe ich Lust, ein Bild, so wie es ist, ohne Glas davor, aufzuhängen, um immer wieder meine Gedanken und Assoziationen hinzuzufügen oder Dinge herauszunehmen, die nicht mehr passen.“

Das Detail kommt hundertfach

Kreiszeitung Wesermarsch 29.1.1982 / N.N.

Der am Landesmuseum für Archäologie in Münster als wissenschaftlicher Grafik-Designer beschäftigte Egbert von der Mehr stellt eine Reihe seiner Arbeiten […] im Museum Nordenham aus. […] Unser Photo zeigt einen Ausschnitt aus „Enzyklopädie meiner Bildwelt“. So hat der in Köln geborene 40jährige Künstler seine aus einer Unzahl von Details, aus menschlichen Figuren, zerfallener Technik und bröckelnden Gebäuden zusammengefügten Federzeichnungen genannt. Auch Farbstiftzeichnungen und Mischtechniken werden zu sehen sein. […]

Kunstverein eröffnete Ausstellung von Egbert von der Mehr:
Feine Feder skizziert Endloses

Unbekannte Quelle 2.2.1982 / Anneliese Bragemann

Mit einer interessanten und einer etwas ungewöhnlichen Bilderausstellung eröffnete der Kunstverein im Nordenhamer Museum am Sonntag die Reihe seiner Vorstellung von Künstlern in diesem Jahr. […]
Oberstudienrätin Gisela Bartels gab eine Einführung in das Schaffen von Egbert von der Mehr, der als wissenschaftlicher Grafikdesigner am Landesmuseum für Archäologie in Münster tätig ist.
Der Künstler, ein Meisterschüler von Professor Timm Ulrichs, hat zum Unterschied vieler anderer keine bestimmte Stilrichtung. Seine Arbeiten könne man, so Gisela Bartels, in zwei Gruppen einteilen: die Federzeichnungen in schwarz-weiß und die farbigen Aquarelle in verschiedenen Mischtechniken.
Interessiert steht der Betrachter vor der kompositorischen Besonderheit der Schwarz-Weiß-Zeichnungen in Endlosmanier, die der Künstler „Enzyklopädie meiner Bildwelt“ nennt.
Eigenwillig, lustig und manchmal grotesk erscheinen die Verknüpfungen von Mensch, Technik und Natur. Ängste des Jahrhunderts werden ebenso ausgedrückt wie sich Egbert von der Mehr über die Welt lustig zu machen scheint – mit seiner eigenen bildhaften Sprache. Mit feinster Feder sind Stilelemente verteilt, schaffen Strukturen ruhende Pole, entsteht ein wohlgeordnetes Chaos, gesehen aus verschiedenen Perspektiven. In Perfektion geschaffen, regen die Bilder den Betrachter zum Weiterdenken an.
Anders bei den Farbbildern des Künstlers, die vom Charakter der Gelb-Rot-Braun-Tönungen leben. Hier kommen große Motive zum Ausdruck. Im Wechsel zwischen Verdichtung und Klarheit präsentieren sich die Bilder in einer zauberhaften Duftigkeit. Namen haben diese Kreationen nicht; es bleibt jedem überlassen, eine für sich gültige Bezeichnung zu finden. […]

Verquickung von Mensch und Technik in unendlichen Bildergeschichten
Egbert von der Mehrs Zeichnungen regen zum „Weiterspinnen“ an

Wesermarsch-Zeitung 5.2.1982 / Gisela Bartels

Egbert von der Mehr, Jahrgang 1942, Zeichner aus Münster, stellt bis Ende März im Kunstverein Nordenham seine Arbeiten aus. Diese Bilder, die seit 1970 in etlichen Ausstellungen zu sehen waren, zeichnen sich durch besondere Akribie aus. Er hat nicht umsonst ein elfjähriges Studium an der Kunstschule absolviert. Im Museum Nordenham zeigt er zwei Gruppen von Werken: schwarzweiße Federzeichnungen und farbige Bilder in verschiedenen Techniken sowie Aquarelle, Farbstiftzeichnungen und Mischtechniken.
Bei den Federzeichnungen weisen die großformatigen eine kompositorische Besonderheit auf: Sie scheinen an allen Seiten außerhalb des Bildrandes weiterzugehen, sind endlos fortsetzbar. Sie sind dicht mit Formen überzogen und haben durch ihre Endlosigkeit den Charakter von Tapeten. Man könnte sich vorstellen, daß sie in einem Raum Wände und Decken nahtlos bedecken könnten.
Sie sind unendliche Bildergeschichten im besten Wortsinn. Auf diese Zeichnungen muß man sich einlassen. Diese Bilder erzählen uns abenteuerliche Geschichten, dabei anknüpfend an die Erzählbilder eines Breughel oder Bosch: wir sehen Landschaften, die plötzlich zu Leibern werden, einzelne Gliedmaßen, Teile von Motoren, Häuserbruchstücke, Tiere, Ruinen, Liebespaare, Akte, Pflanzen usw.
Die Verquickung von Mensch und Natur sowie von Mensch und Technik zeigt sich in grotesker Weise, der Mensch scheint dabei vergewaltigt zu sein. Ängste, die uns alle beherrschen, Ängste von Enge und Bedrängtsein, Alpträume finden in Egbert von der Mehrs Zeichnungen ihren Ausdruck; Monster aus Gruselfilmen, gefolterte, gemarterte Menschen blicken uns an. Die Ängste der Menschen im Massen- und Sexzeitalter nehmen Gestalt an. Schrott und Abfälle unseres Industriezeitalters drängen sich zwischen geschnürten Menschen und Menschenteilen. Als ein wichtiges Stilmerkmal ist die Deformation zu nennen. Gesichter sind ins Groteske verzerrt, Gliedmaßen verlängert, verkürzt, verbreitert usw.
Weiterhin werden die Kompositionen bestimmt durch verschiedene Perspektiven: Einmal sieht man aus der Vogelperspektive, dann wieder von der Seite oder aus der Froschperspektive. Dadurch wird der Eindruck äußerster Bewegtheit erweckt.
Bei den Farbbildern sind diese Möglichkeiten zum Weiterdenken genauso gegeben wie bei den Federzeichnungen. In der Ausstellung sind zwei Gruppen von Farbbildern zu sehen: die eine ist als Um- und Fortsetzung der Federzeichnungen in Farbe anzusehen. Wir finden Figuren und Formen in ähnlicher Form wie dort, diesmal durch Farbe sehr plastisch dargestellt, jedoch nicht in der Fülle wie auf den Federzeichnungen. Die andere Gruppe von Farbbildern basiert auf den Erfahrungen, die Egbert von der Mehr als wissenschaftlicher Grafik-Designer am Landesmuseum für Archäologie in Münster macht. Er läßt sich anregen von freigelegten Oberflächen von Gebrauchsgut, Gesteinsformen, Bauteilen, Verwehungen usw. Diese Bilder leben von dem Wechsel zwischen Verdichtung und Auflösung zwischen Fläche und Struktur, Ruhe und Bewegtheit. Dabei sind sie duftig im Ton durch Lasurauftag der Farben . […]

Die Gedanken wurden in Linien umgesetzt
Ab Sonntag neue Ausstellung bei Galerie und Werkstatt

Braunschweiger Zeitung 3.4.1982 / d.l.

Kunst muß nicht immer Provokation sein, sie kann auch ins Reich der Träume, der Phantasie und der „Wollust“ des Betrachters führen; diese Eindrücke vermitteln die Bilder und Zeichnungen von Egbert von der Mehr, die ab Sonntag in den Ausstellungsräumen von Galerie und Werkstatt zu sehen sein werden. Dabei reicht die Áusdruckspalette des Künstlers von bis ins Detail gestalteten Schwarzweißzeichnungen bis hin zu Farbkompositionen, die – ohne Gegenständlichkeit – zum Betrachter sprechen.
[…] Zur Einführung spricht Klaus Hoffmann, Direktor des Kunstvereins Wolfsburg. […] Gefühle, Gedanken und Stimmungen scheint sich Egbert von der Mehr mit seinen Schwarzweißzeichnungen von der Seele gezeichnet zu haben. Menschen, Maschinen, Landschaften, Fragmente des täglichen Lebens, des Daseins gehen ineinander über und vereinen sich zu einem Ganzen, zu einer „Geschichte“, die der Künstler erzählt.
Im Gegensatz dazu die farbigen Zeichnungen des Künstlers, die teilweise an Aquarelle erinnern und der Phantasie freien Raum lassen. Trotz zarter Farben haben die Zeichnungen eine intensive Aussagekraft; der Künstler benutzt die Linie als Ausdrucksmittel.

In der Galerie und Werkstatt:
Bilder und Zeichnungen von Egbert von der Mehr
„... das gluckst und sinkt und greift empor ...“

Wolfenbütteler Zeitung 3.4.1982 / Ko

Auf einem Quadratmeter Leinwand explodiert die Welt. Die Überfülle von Gegenständen und Menschenleibern scheint den viel zu engen Rahmen im wahrsten Sinne des Wortes sprengen zu wollen. „Enzyklopädien meiner Bilderwelt“ nennt Egbert von der Mehr diese Sammelsurien einer durch und durch chaotischen Welt […].
„Enzyklopädien“, das sind laut Lexikon „übersichtliche Darstellungen des gesamten praktischen und theoretischen Wissens“ - steht man vor den subtil gearbeiteten Ausstellungsstücken von der Mehrs, sollte man die „Übersichtlichkeit“ allerdings ganz schnell vergessen. Sein praktisches und theoretisches Wissen, seine Erfahrungen und Eindrücke aus der Umwelt projiziert der 1942 in Köln geborene Künstler nämlich als verfeinertes Durcheinander, dem jede Ordnung abgeht.
Befreiungsdrang eines im „bürgerlichen“ Beruf zur kühlen Wissenschaftlichkeit gezwungenen Menschen und ein extrem waches Auge für jeden Bewegungsablauf in seiner Um- und Mitwelt machen aus von der Mehrs „Enzyklopädien“ optische Ereignisse. Mit akribischer Sorgfalt und einem Tuschstift, wie er sonst nur am Zeichenbrett benutzt wird, formt der ausgebildete Grafikdesigner aus geraden, gebogenen, gewellten, gezackten Linien einen Wust von Trümmern, einstürzende Wolkenkratzer konkurrieren mit lachenden oder auch nur stumpfsinnigen Fratzen. Wohnzimmer- oder Gartenidylle unterm Lindenbaum – alles kaum mehr als ein paar Millimeter groß – wirken nur solange beschaulich, wie man sie als Einzelnes, als Hauptsache betrachtet. Aber gerade dieser Eindruck mag kaum aufkommen, sofort dringen Tiergestalten, Bootsszenen und Gebirgsmassive, in mannigfachen Perspektiven dargestellt, in die scheinbar ruhigen Szenen ein.
Bindeglied inmitten all der impulsiven Weltenschau, in der jeder Federstrich seine Bedeutung hat, sind immer und immer wieder menschliche Leiber oder auch nur ihre Einzelteile. Da stolzieren barock geformte Figuren durch das Wirrwarr, in einem aufgebrochenen Torso sind Rippen und Gedärme freigelegt, ein Beinpaar verjüngt sich nach oben zu einer Baumkrone, auf erotische Details – hier besonders Phallussymbole in variantenreicher Vielfalt – stößt man bei der optischen Rallye durch die Tusch-Mosaike. Mit „Das gluckst und sinkt und greift empor“ hielt ein Betrachter seinen Eindruck fest.
Neben den großformatigen „Enzyklopädie“- Federzeichnungen sind unter den mehr als dreißig Exponaten eine Reihe von Bildern in Mischtechnik, unaufdringliche, mit Buntstift in Pastelltönen kolorierte Werke kleineren Ausmaßes. […]
Fleißarbeit in Tusche: Jeder Millimeter Federstrich bekommt seinen Teil an Bedeutung. Technisch ausgefeilt bis ins Detail steckt pralle Sinnesfülle in diesem Bildausschnitt einer „Enzyklopädie“ Egbert von der Mehrs.

Ein Puzzle-Spiel aus winzigen Figuren und Gegenständen
Unsere „chaotische“ Welt auf ein Bild gebannt

Unbekannte Quelle 6.4.1982 / cl

Ein Meer von winzigen Figuren, einzelnen Gliedmaßen, Gegenständen und Pflanzen, scheinbar unzusammenhängend aneinandergereiht, sich überdeckend, ohne Ordnung, einem wilden Chaos ähnlich, so stellen sich dem Betrachter die Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Egbert von der Mehr auf den ersten Blick dar. Bei längerem Betrachten jedoch wirkt das Bild trotz der vielen Einzelteile und Fragmente in sich geschlossen.
Der Künstler, 1942 in Köln geboren und Schüler bei Professor Timm Ulrichs, verarbeitet in seinen Werken die „Typologie des Menschen und der Natur“, wie der Direktor des Kunstvereins Wolfsburg, Klaus Hoffmann, in seinem Einführungsvortrag zur Eröffnung der Ausstellung in der „Galerie und Werkstatt“ (Reichsstraße) erläuterte.
Die Zeichnungen spiegeln die Gesamtheit der menschlichen Gesellschaft wider, aufgeschlüsselt in kleinste Einzelteile, wie zum Beispiel einen Baum, daneben Raketen und das verzerrte Gesicht eines alten Mannes, alles Bestandteile, die unsere Umwelt prägen. „Enzyklopädie meiner Bilderwelt“ heißt auch der Titel der Werke, eine Art Gesamtwissenskunde des Menschen und seiner Umwelt in einem Bild zusammengefaßt. Der Einzelne erscheint als Winzling, der von übergroßen Figuren beherrscht wird. Dies können zum Beispiel Manager oder Führer, aber auch Teufel und Monster sein.
Ganze Generationen läßt der Künstler nach den Worten von Klaus Hoffmann in einem Bild Revue passieren. Eine unzählige Vielfalt von Menschentypen und Umwelteindrücken wirkt auf den Betrachter ein, wobei diese „Winzlinge“ nicht etwa niedlich aussehen, sondern verzerrte und gequälte Gesichter zeigen. „Die Werke zeigen die Welt wie nach einer Katastrophe. Angesichts der vielen grausamen Vorkommnisse in dieser Welt ist es kein Wunder, daß viele Künstler in entsprechender Weise darauf reagieren“, sagte der Referent.
Sicherlich ist dieser Aspekt von großer Bedeutung, aber es macht auch einfach Spaß, aus dem Wirrwarr von Menschen, Maschinen und Natur einzelne Details ausfindig zu machen und zu untersuchen. Ein Unterfangen, das Wochen in Anspruch nehmen kann. Ganz andere Fähigkeiten zeigt Egbert von der Mehr in seinen farbigen Zeichnungen. Die matten, oft braunen und grünen Farbtöne strahlen eine gewisse Ruhe aus, ganz im Gegensatz zu den Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Es entsteht der Eindruck, als ob sie von einem leichten Nebelschleier überzogen sind, wobei allerdings auch hier die Liebe zum Detail deutlich wird. […]

Egbert von der Mehr-Ausstellung
Ein endloser Wirbel

Braunschweiger Zeitung 10.4.1982 / Hendrik Markgraf

Wenn der Träumer erwacht, erinnert er sich nur noch verschwommen an die Bilder und Szenen der Nacht. Schemen, Andeutungen, verzerrte Perspektiven, bisher unbekannte Dimensionen bestimmen die verrückte Welt des Traumes. Eben dieser anderen Wirklichkeit scheinen viele der faszinierenden farbigen Arbeiten Egbert von der Mehrs verpflichtet zu sein, die in der Galerie und Werkstatt des Kunstvereins Wolfenbüttel […] zu sehen sind.
Wie durch einen Schleier blickt der Betrachter auf eine Szenerie, die von Anspielungen lebt, keine endgültige Gewißheit gibt. Zarte rosa und blaue Töne gehen ineinander über, Tiefe entsteht durch abgestufte Farbigkeit, verschiedene Schichten überlagern einander. Am unteren Bildrand eine weibliche Figur, sitzend, die voluminösen Beine übereinandergeschlagen. In der Mitte eine männliche Gestalt, plump der Körper, brutal die Gesichtszüge. Satanisches, Abgründe, ungeahnte Seiten des Seins tun sich auf, stören das Bild einer glatten, heilen Welt. Alles gerät in Fluß, Farben, Figuren. Der Betrachter wird mitgerissen, sucht schließlich Halt im Gegenständlichen, legt sich eine Deutung zurecht.
Von der Mehr malt technisch perfekt Seelenlandschaften voll zarter Farbigkeiten, die faszinieren und ängstigen können. Er ist dem Phantastischen verpflichtet, Einflüsse des Kubismus und Dadaismus sind zu erkennen. Die Gestalten eines Aquarells erinnern an die entpersönlichten Kunstfiguren Oskar Schlemmers: Verpuppte Figuren, Maschinenmenschen in einem Raum, der nicht mehr als statisch meßbare Wirklichkeit, sondern als expansiv bewegliches Fluidum zu begreifen ist.
Andere Arbeiten (Mischtechnik) sind ungegenständlicher gehalten, oder lassen Reste an Identifizierbarem erkennen. Wie ein Irrgarten, den man durchwandert, mutet die Szenerie eines kleinen Aquarells an. Verschiedene Formen überlagern sich; Verästelungen, verschlungene und entstellte Körper, Phantasiegeburten bevölkern unaufdringlich dieses Tableau, das eine farbige, gemäßigte Fortsetzung der Zeichnungen von der Mehrs ist.
Die Federzeichnungen nennt der 1942 in Köln geborene Künstler „Enzyklopädie meiner Bilderwelt“. Die Geschichte der Menschheit scheint hier auf einigen großformatigen Bildern verdichtet worden zu sein. In einem Dickicht von Körpern, Monstern und Gegenständen werden Fülle und Vielfalt des Lebens, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft spürbar. Mit barocker Turbulenz – wie unter Zwang gemalt – brodelt in einem nicht enden wollenden Wirbel ein „Leibermoor“.
Von der Mehr, wissenschaftlicher Graphik-Designer in Münster, verbindet die einzelnen Figuren miteinander, Köpfe gehen in Hände über, Fabelwesen, halb Tier, halb Mensch, Versatzstücke moderner Technik verknäueln sich zu einem großen Chaos. Die Zeichnungen erinnern zuweilen an Boschs „Altartafel mit dem Jüngsten Gericht“ oder an den „Garten der Lüste“. Sie sprudeln über von Visionen alptraumartigen Charakters. Eine Ausstellung, die man sich nicht entgehen lassen sollte. […]